Letzte Chance für den Südsudan

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Brücke in Juba, der Hauptstadt des Südsudans

Das Afrikan Research and Resource Forum (ARRF) ist seit vielen Jahren Partnerin der hbs in Ostafrika. Seit 2004 begleitet ARRF mit Analysen, Publikationen und Konferenzen die Entwicklungen im Südsudan. Katrin Seidel, Leiterin des Büros Ostafrika/Horn von Afrika sprach mit ARRF Direktor George Omondi über den aktuellen gewaltsamen Konflikt im Südsudan, der die Zukunft der jüngsten Nation Afrikas bedroht. 

Katrin Seidel: Kurz vor dem Ausbruch der Gewalt im Südsudan hatte Ihnen der ehemalige Vizepräsident Riek Machar bei einem Treffen versichert, er werde die Führungsrolle des Präsidenten Salva Kiir ausschließlich mit gewaltfreien Mitteln  herausfordern. Haben Sie die  Ereignisse überrascht?

George Omondi: Ja und nein. Die Wurzeln des Konflikts liegen in den tiefen politischen Differenzen zwischen Riek Machar und Salva Kiir und der wachsenden Opposition gegenüber dem Regierungsstil des Präsidenten. Viele Langzeitbeobachter der Entwicklungen im Südsudan haben erwartet, dass sich die Spannungen irgendwann entladen würden. Es hätte bereits eher geschehen können. Ich war in Juba, als Präsident Salva Kiir im Juli letzten Jahres gemeinsam mit dem gesamten Regierungskabinett, auch Riek Machar, seinen Vizepräsidenten entließ. Sofort nach der Ankündigung schlossen in der Hauptstadt alle Läden. Doch es kam zu keiner Gewalt. Riek Machar versicherte seinen Anhängern, dass er in der Rolle des Vizepräsidenten ohnehin keinen Einfluss mehr habe. Es war sein erklärtes Ziel, Salva Kiir als Parteivorsitzenden der Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) abzulösen. Machar und andere von Kiir abgesetzte Führungsfiguren der SPLM kündigten daher Proteste an und forderten eine Neuordnung der Partei. Die Einberufung des National Liberation Council am Tag vor dem Ausbruch der Kämpfe in Juba war ein Kompromiss. Es ist daher schwer zu glauben, dass, wie Präsident Salva Kiir nur Stunden nach dem Beginn der kämpferischen Auseinandersetzungen in Juba behauptete, es sich um einen Coup de Etat handle, geplant und ausgeführt von „Riek Machar und seinen Leuten“. Es ist genauso gut möglich, dass die Auseinandersetzungen von Salva Kiir forciert wurden, um Riek Machar als Rebell abzustempeln und sich seiner offenen Opposition zu entledigen: „ein für allemal“, wie er mehrmals öffentlich bekundete.

Wie lässt sich erklären,  dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen so schnell auch auf andere Teile des Landes übergreifen konnten?

Die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) ist ein Ansammlung von Milizen, die im Falle eines Konflikts in ihre Teile zerfällt. Die Strategie, Frieden zu erkaufen, die besonders seit der Juba Deklaration in 2006 von Salva Kiir genutzt wurde, um den Südsudan zu stabilisieren, hat ihren Preis. Milizenführer wurden mit dem Versprechen auf eine gehobene Stellung in der Armee überredet, ihre Truppen in die SPLA zu integrieren. Das erklärt, warum es in keiner Armee der Welt so viele Generäle pro Einwohner gibt wie im Südsudan. Doch die Loyalität solcher ehemaliger Milizen gilt nicht der SPLA, sondern ihren Anführern, die teilweise ihre Truppen noch selber finanzieren. Hinzukommt die ethnische Dimension. In dem Moment, als sich der Dinka dominierte Teil des Militärs als Bewahrer der Regierung Salva Kiirs präsentierte, ließ er den unterschiedlichen Fraktionen in der SPLA kaum eine Chance, als sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Es ist daher nicht unbedingt wahr, dass Generäle in Jongelei, Unity State und Upper Nile zu Riek Machar’s Seite überliefen. Sie wollten vor allem das gezielte Töten ethnischer Nuer verhindern. Gerüchte von einem Massaker an ethnischen Nuer in Juba hatten sich schnell herumgesprochen. Wir wissen jetzt auch, dass es tatsächlich stattgefunden hat. Ethnizität sollte aber nicht überbetont werden. Die Ursache des Konflikts liegt im Machtkampf von Salva Kiir und Riek Machar und hat wenig mit ihrer jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit zu tun.

Besteht die Gefahr, dass der gewaltsame Konflikt ethnische Animositäten schürt? Zumindest werfen sich beide Seiten das gegenseitig vor.

Sicher besteht die Gefahr, dass die ideologischen oder politischen Rivalitäten zweier Führer zu Konflikten zwischen ganzen Bevölkerungsgruppen stilisiert werden. Hier liegen die Anfänge politischer Ethnizität in Kenia. Im Südsudan ist das jedoch viel schwieriger. Die ethnische Basis für beide, Nuer und Dinka, ist einfach zu klein. Gemeinsam machen sie weniger als ein Viertel der Bevölkerung aus. Dennoch wird ethnische Identitätenpolitik in Zukunft eine größere Rolle spielen und Optionen für eine politische Lösung des Konflikts limitieren.

Trotz des Schocks über das Ausmaß der Gewalt, sprechen Beobachter von einer Chance für den Südsudan.

Es ist wahrscheinlich Südsudans letzte Chance. Bevor es ein ähnliches Schicksal erfährt, wie die Demokratische Republik Kongo: endlose interne Konflikte geschürt und missbraucht von den Eigeninteressen seiner Nachbarn. Der derzeitige Konflikt im Südsudan ist politisch motiviert. Es kann daher nur eine politische Lösung geben, mit den Rivalen Salva Kiir und Riek Machar im Zentrum. Vorschläge, eine Lösung ohne die Beiden zu suchen, halte ich für wenig realistisch, da sie im Augenblick fast den gesamten politischen Raum besetzen. Es ist offensichtlich, was diskutiert werden muss. Wie können sie offen miteinander in der SPLM konkurrieren? Ist Salva Kiir bereit für einen möglichen Machtwechsel nach der nächsten Wahl? Viele meinen, es sei unwahrscheinlich, dass Riek Machar und Salva Kiir gemeinsam eine Übergangsregierung bilden könnten. Ich glaube jedoch, dass beide Politiker sind, die Machtinteressen über persönliche Differenzen stellen können. Die wirkliche Chance liegt jedoch jenseits eines Mechanismus für die Machtverteilung in einer Übergangsregierung. Die Verhandlungen müssen zu einem umfangreichen Plan führen, der den südsudanesischen Staat neu konstituiert. Wesentlich ist der Umbau der SPLM von einer Befreiungsbewegung in eine politische Partei. Desweiteren müssen Strukturen geschaffen werden, die Rechte und politische Freiheiten gewährleisten, sowie die Justiz stärken. Mit anderen Worten, das bisherige System, indem einzelne Individuen die Geschicke des Landes bestimmen, muss gebrochen werden. Das schließt auch eine offene Diskussion über den Reichtum ein, den die politischen Eliten um Salva Kiir und Riek Machar zu Unrecht erworben haben. Korruption ist ein wesentlicher Faktor in der derzeitigen Krise. Ohne eine Rückgabe zumindest eines Teils  gestohlener Gelder, wird es keine dauerhafte Lösung geben.

Die Konfliktparteien haben sich mit Hilfe der Vermittlung der Intergovernmental Authority of Development (IGAD) in Addis Abeba immerhin auf eine Waffenruhe geeinigt. Ist das der Beginn für die Aushandlung der umfangreichen Reformen, die Sie aufzählen?

IGAD ist nicht die geeignete Plattform dafür. Ugandas militärische Unterstützung der südsudanesischen Regierung stellt die Neutralität der Organisation insgesamt in Frage. Entgegen des Eindrucks vieler war es kein Alleingang seitens Ugandas. Der Einsatz war von IGAD autorisiert. Was ist also die Strategie, die IGAD und Uganda als Mitglied gegenüber dem Südsudan verfolgt? Auch Kenias Rolle ist fragwürdig. Grundsätzlich wäre Kenia mehr noch als beispielsweise die Vereinigten Staaten in der Lage, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. In den 22 Jahren Bürgerkrieg im Sudan haben viele Südsudanesen in Kenia ihre zweite Heimat gefunden. Ihre Kinder gehen in Nairobi zur Schule oder besuchen die Universität. Vermögen liegen hier auf den Bankkonten. Die kenianische Regierung hat sieben der elf politischen Gefangenen aufgenommen, deren Freilassung von Riek Machar als Bedingung für die Friedensverhandlungen gestellt wurde. Darüber hinaus zeigt sich die Regierung jedoch erstaunlich zurückhaltend.

Das mag auch damit zu tun haben, dass sich der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta angesichts des Verfahrens am Internationalen Strafgerichtshof in seiner Außenpolitik massiv für die Stärkung der Rolle von Staatsoberhäuptern einsetzt. Daher kann auch Kenia nicht mehr als neutraler Mittler auftreten. Letztendlich ist es die Aufgabe der Afrikanischen Union in dieser Situation zu vermitteln. Mit dem Friedens- und Sicherheitsrat gibt es bereits einen Mechanismus dafür. Es ist jedoch wesentlich, dass der Verhandlungsprozess nach Juba umzieht und keine Eliten in Addis Abeba geschaffen werden, ähnlich wie die somalischen Übergangsregierungen, die Jahre lang in Nairobi residierten. Der Prozess muss zudem breiter und inklusiver werden. Nur unter Einbeziehung von VertreterInnen der Zivilgesellschaft können Fragen von Versöhnung und dem Aufbau des Südsudan als Nation besprochen und ein umfassender Plan für eine Übergangsphase erarbeitet werden.
 

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